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Nur Beton? Moderne in Neubrandenburg

Bartning, Grund, Müther, Tessenow und andere Architekten

„Nur Beton? Moderne in Neubrandenburg“ ist eines von bundesweit 19 im Fonds Stadtgefährten der Kulturstiftung des Bundes gefördertes Veranstaltungs- und Ausstellungsprojekt am Regionalmuseum Neubrandenburg.

Neubrandenburg wird oft als ein Ort trister Nachkriegs- und Plattenbauarchitektur wahrgenommen. Das Projekt will diese Sichtweise hinterfragen und stellt dazu die provozierende Frage: Nur Beton?

Von September 2018 bis Februar 2020 gilt es mit verschiedenen Veranstaltungen und einer Sonderausstellung den Spuren bedeutender Architekt*innen, prägender Bauten und Bauweise in der Stadt nachzuspüren und sich großen Namen der Nachkriegsmoderne zu nähern.

Mit den verschiedensten Kooperationspartner*innen war 2019 ein Jahr der Moderne in Neubrandenburg.

WBS 70

Wohnungsbauserie 70, die Neubrandenburger Oststadt und der industrielle Massenwohnungsbau der DDR

Mit der Grundsteinlegung am 30. April 1952 beginnt der Wiederaufbau der Neubrandenburger Innenstadt in herkömmlicher Ziegelbauweise. Die ersten Aufbaujahre sind jedoch von Materialmangel und langsamen Voranschreiten geprägt. 1957 wird eine städtebauliche Planung für 50.000 Einwohner vorgestellt. Nach der Innenstadt wird hier das südliche Stadtgebiet – heutiger Bereich Clara-Zetkin-Straße, Kaufhof Süd, John-Schehr-Straße – als Aufbaugebiet forciert. Von 1956-57 wird dafür an der Bergstraße das Betonwerk Süd errichtet. Auf den Flächen in der Südstadt entstehen somit bereits Gebäude in der Großblockbauweise. 1962 zeichnet sich ab, dass mit den Flächen in der Innenstadt, der Südstadt und im Vogelviertel die Wohnungsnot nicht beseitigt werden kann.

Bereits 1955 wurde zur weiteren Entwicklung der Bezirksstadt Neubrandenburg eine Stadterweiterung nach Osten thematisiert. Entstehen sollte ein Wohngebiet für ca. 10.000 Einwohner*innen auf 59 Hektar bei einer Einwohnerdichte von 140 Einwohner*innen je Hektar in industrieller Bauweise. Gegen diesen Plan einer „Trabantenstadt“ sprach sich u.a. der Architekt Hermann Henselmann aus. Das Staatliche Entwurfsbüro in Halle legte 1956 einen Plan mit Zeilen verschiedener Geschosshöhen (1-4 Geschosse) in Blockrandbebauung vor. Dieser Entwurf kam jedoch nie zur Ausführung.

Mit den Plänen die Stadterweiterung auf über 60.000 bis 80.000 Einwohner*innen zu erhöhen, wird 1961 ganz im Sinne des industriellen Bauens ein neuer Entwurf für die Neubrandenburger Oststadt vorgestellt. Dieses Mal sollten auf 79 Hektar fünfgeschossige Zeilen in Großplattenbauweise für ca. 12.000 Bewohner*innen entstehen. Eine erste Überarbeitung reduzierte die Fläche auf 52 Hektar und erhöhte Zahl der Einwohner*innen auf ca. 15.000. 1967 kommt es zu einer weiteren Überarbeitung, bei der die forcierte Einwohnerzahl für das Wohngebiet auf 16.000 festgelegt wird.

Anlässlich des 100. Geburtstags Lenins wird am 22. April 1970 der Grundstein für die Neubrandenburger Oststadt mit einem Wohnblock in der Günter-Harder-Straße – heute Niels-Stensen-Straße – gelegt. Bereits Ende 1970 können dort die ersten Wohnungen bezogen werden.

Zugleich kommt in der Neubrandenburger Oststadt zum ersten Mal die Wohnungsbauserie 70 zur Anwendung. Das Institut für Wohnung- und Gesellschaftsbau der Bauakademie, die Technische Universität Dresden und das Neubrandenburger Wohnungsbaukombinat entwickelten zusammen dieses Plattenbausystem. Es prägt bis heute die ostdeutschen Wohngebiete. Von den 1,52 Millionen in Plattenbauweise errichteten Wohneinheiten in der DDR gehören 608.000 zur Wohnungsbauserie 70. Im Ausstauch gegen Öl oder Gas wurden die Platten auch in die UdSSR exportiert. Mit Einführung der WBS 70 konnten innerhalb von 38 Werktagen 40 Wohnungen gefertigt werden. 1972 wurden der erste fünfgeschossige Block und später das erste elfgeschossige Hochhaus der WBS 70 in der Oststadt errichtet.

Typisch waren in der ersten Zeit die Basis von 12 Meter Segmenten und mittig gelegene Treppenhäuser bei fünf Geschossen. Ebenso auffallend ist die reduzierte Gestaltung durch Betonung einzelner Flächen mit farbigen Splitten oder Anstrichen. Ab 1976 konnten Außenplatten mit Keramikfliesen oder Werkstein für die besondere Gestaltung belegt werden, wobei auch hier zu starke Verzögerungen im Produktionsablauf und Materialmangel einschränkend wirkten. Die Anwendung des Plattenbauverfahrens führte dazu, dass bereits 1980 26.000 Menschen in der Oststadt lebten.

Dieser Fokus auf den reinen Wohnungsbau hatte jedoch seinen Preis, die von Iris Grund vorgesehenen Gesellschaftsbauten wie ein Kulturhaus, eine Bibliothek oder eine Schwimmhalle wurden bis zum Ende der DDR nicht realisiert. Vorgehaltene Freiflächen blieben unbebaut.

Der WBS 70 Block wird bereits 1984 als erster errichteter Block dieser Serie unter Denkmalschutz gestellt. Er ist beispielhaft für die technische Entwicklung im Massenwohnungsbau der DDR und deren Anwendung sowie die städtebauliche Dominanz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und darüber hinaus.

Tessenowhaus

Heinrich Tessenow, Wohnhaus und die Suche nach dem „Urtyp“ des Hauses

Heinrich Tessenow wächst in Rostock auf, schließt im elterlichen Betrieb eine Zimmermannslehre ab und besucht anschließend die Baugewerksschulen in Neustadt/Mecklenburg und in Leipzig. Ab 1900 studiert er an der Technischen Hochschule in München. 1902 kehrt er nach Mecklenburg zurück und tritt eine Lehrerstelle am Technikum in Sternberg/Mecklenburg an. 1903 wechselt er an die Baugewerksschule in Lüchow, dort heiratet er Elly Schülke. Über Lehrtätigkeiten in Dresden, Hellerau, Trier und Wien kommt er 1926 als Professur an die Technische Hochschule Berlin. Dort wirkt er bis 1941 und erneut nach dem II. Weltkrieg.

Tessenow ist einer der wichtigsten Vertreter der Reformbauarchitektur und war zeit seines Lebens auf der Suche nach dem „Urtyp“ des Hauses. Seine Bauten sind geprägt durch die Reduzierung auf das Einfache und Notwendige, auf geometrische Grundformen, glatte, schlichte, schmucklose und sachliche Flächen. Zu seinen bekanntesten Bauten zählt das Festspielhaus in der Gartenstadt Hellerau. In seinem 1916 erschienen Werk „Hausbau und dergleichen“  formuliert er „… das Einfache ist nicht immer das Beste; aber das Beste ist immer einfach …“.

Das 1919 für seine Familie in der Neutorstraße in Neubrandenburg erworbene Haus unterzieht Tessenow drei Umbauphasen, wobei die umfassendste 1928/1929 vorgenommen wird. Der Lyriker und Essayist Paul Appel, der Mitte 1943 Tessenow in Neubrandenburg besucht, berichtet unter anderem in der Kölnischen Zeitung am 7.10.1943 über diesen Besuch:

„Tessenows Zuhause ist in seiner Heimat, in dem urhaft schönen Mecklenburger Land. Es liegt da die kleine Stadt Neubrandenburg, zwar nur gut zwei Fahrtstunden nördlich von Berlin, aber glücklich verschont von dem Einstrom großstädtischer Einflüsse mit ihrem zerstörerischen Drum und Dran. Wer den Zug verläßt, läßt einige Jahrzehnte Kulturschlacke hinter sich. Alte, umbuschte Wallanlagen nehmen ihn in ihren gemächlichen Frieden auf, und darin, versonnen sicher, ziehen sich die niedrigen Häuserzeilen hin. Städtische und dörfliche Elemente mischen sich ohne Gefahr, alte Tore akzentuieren den einfachen quadratischen Grundriß der Stadtanlage, und die ruhige Marienkirche ruft das echte bauliche Gemeinwesen um sich herum.

In einer diesen einfachen Straßen steht das Tessenow’sche Haus. Es weicht der Straßenflucht nicht aus, schließt sich mit seiner Längsseite den übrigen Längsseiten selbstverständlich an und drückt seine Gehobenheit lediglich durch ein schönes und starkes Volumen aus. In früheren Zeiten – denn es ist kein moderner Bau – dient es einer der ländlichen Adelsfamilien der Umgegend als Stadthaus und Witwensitz. Aus den Händen dieses Geschlechts ging’s in den Besitz des Architekten über und präsentiert sich nach drei behutsamen Umbauten Tessenows, die auch ein scharfes Auge nicht bemerken kann, im Großen und Ganzen noch sein altes Gesicht …“

Ende 1943 wird das Haus in mehrere Notwohnungen aufgeteilt und Tessenow zieht sich in sein Bauernhaus in Siemitz zurück.

Zu DDR-Zeiten wird im Erdgeschoss eine HO-Verkaufsfläche eingerichtet und dafür ein Zugang von der Straßenseite geschaffen. Darüber hinaus wird der zweite Torbogen wieder aufgebaut. Anfang der 1990iger Jahre wird das Haus rekonstruiert und zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut.

In der äußeren Gestaltung zeigt es sich heute wie zu Tessenows Zeiten, wenngleich der herrliche Garten mit der typischen Tessenowschen Gartenlaube nicht mehr existiert und im Inneren nur noch die Treppe original erhalten geblieben ist.

Stadthalle

Ulrich Müther, Stadthalle Neubrandenburg und Hyparschalendächer

In Zusammenarbeit mit dem Bezirksarchitekten Karl Kraus entwickelte Ulrich Müther eine Halle, die in ihrer äußeren Form von vier Hyparschalen dominiert wird.

Diese vier baugleichen Schalen basieren auf einem Grundmodul, das Müther bereits für die Gaststätte Ostseeperle in Glowe auf Rügen entwickelt hatte. Angeordnet sind sie über einem quadratischen Grundriss von 46x46m und durch Oberlichtbänder miteinander verbunden, die sich in einem kronenartigen Aufsatz treffen. Die eigens für die Halle konstruierte Beleuchtungsanlage in der Spitze der aufstrebenden Hyparschalen über der Hallenmitte hat die Zeiten nicht überlebt und wurde Anfang der 1990iger Jahre entfernt.

In den vier eingeschossigen Eckanbauten waren Garderoben, Toiletten, Verwaltungsräume, Ausgabeküchen und Verkaufsstände untergebracht. Deren Dächer sind ebenfalls flache Hyparschalendächer.

Bei der Neubrandenburger Stadthalle wird der Einfluss des spanischen Ingenieurs Felix Candelas in Hinblick auf dessen Kirche San José Obrero in Monterrey auf Müther besonders deutlich.

Ulrich Müther (1934-2007) spezialisierte sich wie niemand sonst in der DDR auf die Konstruktion von Betonschalen und wurde so zu einer prägenden Gestalt der ostdeutschen Nachkriegsmoderne. Er realisierte in Kooperation mit verschiedenen Architektinnen und Architekten über 70 Schalenbauten in Mecklenburg-Vorpommern, der DDR und im Ausland. In Neubrandenburg findet sich neben der Stadthalle im Kulturpark mit der katholischen Kirche St. Josef – St. Lukas ein weiterer Mütherbau, der 1976 bis 1980 errichtet wurde.

St. Michael

Otto Bartning, St. Michael Neubrandenburg und das Notkirchenprogramm

Der Architekt und Theoretiker der Moderne Otto Bartning (1883-1959) prägte die Baukultur des 20. Jahrhunderts nachhaltig und gilt als der Vertreter des modernen evangelischen Kirchenbaus. 1945 übernahm er die Bauabteilung des Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland und entwickelte ein Typenprogramm von Notkirchen, die mit vorfabrizierten Elementen und zugleich örtlich angepasst, errichtet werden konnten. Das Notkirchenprogramm war die Reaktion auf die vielerorts zerstörten Kirchenbauten nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Mangel an gottesdienstlichen Räumen für die stark angewachsenen Gemeinden.

Von 1946 bis 1952 entstanden 43 von 48 geplanten Notkirchen auf dem gesamten Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Die serienmäßig hergestellten Holzbauteile wie Dachbinder, Pfetten, Dachtafeln und weiteres wurden an den Bauort geliefert und dort in ca. 1-3 Wochen montiert. Diese Bauweise erlaubte, dass das Außenmauerwerk nicht tragend war und aus typisch regionalen Baustoffen oder Trümmern zerstörter Kirchen errichtet werden konnte. In Mecklenburg-Vorpommern entstanden drei Notkirchen, die Neue Kirch in Wismar 1951, St. Johannes in Rostock 1952 und die Friedenskirche in Stralsund 1951.

Auch in Neubrandenburg war die Not nach dem Krieg groß, so schreibt Pfarrer Reinhold 1948 an den Weltrat der Kirche in Genf: „Für die Zuweisung einer Notkirche für unsere Kirchgemeinde Neubrandenburg danke ich Ihnen im Namen des Kirchgemeinderats herzlich. Diese Nachricht hat weithin in der Gemeinde große Freude und neue Hoffnung ausgelöst. Besaß doch früher vor 1945 unsere Kirchgemeinde bei einer Seelenzahl von 1800 Evangelischen 3 Kirchen und war so mit gottesdienstlichem Raum gut versorgt. Aber 1945 brannte die bei weitem größte Kirche, die St. Marienkirche, völlig aus. Auch die kleinste Kirche ist sehr baufällig und kommt wegen ihrer ungünstigen Lage und mangels an Gestühl für gottesdienstliche Zwecke nicht mehr in Frage. So blieb uns leider nur noch 1 Kirche, die mit 450 Sitzplätzen alle gottesdienstlichen Veranstaltungen in sich vereinigte. Ist an sich für 1800 Seelen ein Raum mit 450 Sitzplätzen schon unzureichend, so wird die gottesdienstliche Versorgung der Gemeinde dadurch noch schwieriger als fast die gesamte Innenstadt niedergebrannt ist und das Schwergewicht der Bevölkerungsdichte sich nach einer bestimmten Richtung außerhalb der Stadt verlagert hat.“

Nach dem ersten Erfolg des Programms wird das Notkirchengedanke ab 1949 mit 55 weiteren geplanten sogenannten Diasporakapellen und Gemeindezentren im Serienbau fortgesetzt.

 In Neubrandenburg erfolgt am 21. September 1950 der Erste Spatenstich für die neu zu errichtende Kirche St. Michael im Vogelviertel in der Straußstraße, eine von 33 Diasporakapellen in Deutschland.

Bartning äußert sich 1948 in „Was ist eine Notkirche“ selbst zu diesen Bauten: „Heute aber gilt es nicht mehr, den Reichtum der Möglichkeiten durch künstlerische Auswahl zu bändigen, heute gilt es, mit der baren Not zu ringen … oder mit soliden Worten gesagt: wir mußten sparsam aus Bohlen genagelte Joche … konstruieren, samt den abgepaßten Dachtafeln, die Wetterschutz, Wärmehaltung und innere akustische Holzdecke vereinigten; …“

Beim Bau von St. Michael halfen Gemeindemitglieder und christliche Jugendgruppen. Das Fundament besteht aus Betonstücken zertrümmerter Panzersperren, die Außenmauern aus großen Mauersteinen der 1945 zerstörten Marienkirche, der heutigen Konzertkirche, und Normal- und Klinkersteinen gekauft vom Postamt. Die Kirchweihe erfolgte am 16. September 1951, 1963 wurde die Michaelsgemeinde ausgegründet.

Nach der abschließenden Sanierung 2017 erstrahlt St. Michael in neuem Glanz und verdeutlich zusammen mit den anderen 103 Bauten aus dem Programm den Notkirchengedanken und Otto Bartnings Verständnis vom Kirchenbau auf besondere Art und Weise.

„...es entspricht evangelischem Wesen, in der Kirche das geklärte Abbild des täglichen Lebens und der täglichen Geisteshaltung zu sehen.
Diese aber zielen auf Einfalt, Wahrhaftigkeit und Würde;
das heißt: die äußere Erscheinung soll Ausdruck des inneren Lebens sein,
ohne Trug, ohne Prunk, - werbend, einladend durch ihr stilles Sein, ohne reklamehaften Schein.

Das alles ist weit entfernt von Armseligkeit - oder gar einem asketischen Prunken mit Armut.
Bauen heißt Sichtbarwerden, heißt Bekennen,
und zwar Bekennen nicht mit Worten, - die verklingen oder sich umdeuten lassen,…
… So bedeutet Bescheidenheit der Mittel die stolze Kraft,
-  das Wesentliche ganz wahrhaft auszudrücken ...“

Otto Bartning in „Glaube und Form“ 1940

St. Josef - St. Lukas

Ulrich Müther, St. Josef – St. Lukas Neubrandenburg und Hyparschalendächer

1899, das erste Mal seit der Einführung der Reformation in Mecklenburg 1549, wird in Neubrandenburg wieder ein katholischer Gottesdienst gehalten. Er findet in der Aula der Bürgerschule statt. 1906 errichtet man Sankt Joseph in der Großen Krauthöferstraße. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommt der Kirchenbau schnell an seine Grenze und kann die stark gewachsene Gemeinde nicht mehr beherbergen. Mit dem drohenden Abriss aufgrund einer geplanten Straßenerweiterung gelingt es der katholischen Gemeinde 1976 nach jahrelangen Verhandlungen eine Genehmigung für einen Neubau zu erhalten. Die alte Kirche fällt an die Stadt Neubrandenburg, entgeht dem Abriss und ist seit 1996 das Veranstaltungszentrum und Kino Latücht.

Die Gemeinde erhält für den Neubau ein Grundstück in der Heidmühlenstraße und Auflagen, dass die neue Kirche in der Grundfläche der alten zu entsprechen hat und sieben Meter Höhe nicht überschreiten darf. Geplant wird entgegen damaliger Bauvorschriften ein Kirchenbau, von dem drei Außenmauern auf den Grundstücksgrenzen stehen. Problematisch bleibt jedoch die Dachkonstruktion. Eine reguläre Konstruktion mit einem Dachstuhl hätte bei der vorgeschriebenen Gebäudehöhe weiterhin zu einem zu kleinen Kirchenraum geführt.

Ein paar Jahre zuvor entsteht in Rostock 1971 für die im gleichen Jahr gesprengte katholische Christuskirche ein Neubau, bei dem eine Hyparschale aus Beton des Bauingenieurs Ulrich Müther (1934-2007) für die Überdachung des Kirchenraums zum Einsatz kommt.

Müther und der VEB Spezialbetonbau Binz können auch für den Neubrandenburger Neubau gewonnen werden. Den Vorentwurf für einen Kirchenbau mit Gemeinderäumen und zwei Betonschalendächern liefert der VEB-eigene Architekt Dietrich Otto. Entgegen der Vorgaben schafft es Müther die Gebäudehöhe auf zwölf Meter zu erhöhen. Mit der Ausführungsplanung wird Erhard Russow beauftragt, er verändert den ersten Entwurf mit der nahezu geschlossenen Klinkerfassade zu der heutigen schottartigen Außenfassade mit vertikalen Fensterbändern, die mehr Licht im und eine bessere Belüftung des Kircheninneren erlauben. Die Finanzierung erfolgt im Rahmen eines Sonderbauprogramms über das Bonifatius-Werk. Neben dem VEB Spezialbetonbau Binz sind der VEB (K) Malchin und der VEB (K) Hochbau Templin am Bau beteiligt.

Am 19. Oktober 1977 wird feierlich der Grundstein gelegt und am 18. Oktober 1980 weiht Bischof Heinrich Theissing die neue Pfarrkirche St. Josef - St. Lukas. Das Altarkreuz, an der von Christof Grüger (1926-2014) mit Betonglasfenstern gestalteten Altarwand, sowie die Josefsfigur im Eingangsbereich sind die beiden einzigen Dinge aus der alten Kirche, die sich in der neuen finden.

Die beiden Hyparschalendächer von Müther überspannen auf besonders filigrane Art den Kirchen- und die Gemeinderäume. Die größere Schale misst 23,5 x 30 m und die kleinere 17,6 x 23 m bei einer durchschnittlichen Dicke von nur 7 cm.

Ulrich Müther spezialisierte sich wie niemand sonst in der DDR auf die Konstruktion von Betonschalen und wurde so zu einer prägenden Gestalt der ostdeutschen Nachkriegsmoderne. Er realisierte in Kooperation mit verschiedenen Architektinnen und Architekten über 70 Schalenbauten in Mecklenburg-Vorpommern, der DDR und im Ausland. In Neubrandenburg findet sich neben St. Josef – St. Lukas mit der Stadthalle im Kulturpark ein weiterer Mütherbau, der bereits 1969 errichtet wurde.

Haus der Kultur und Bildung

Ein Kulturhaus für Neubrandenburg – Iris Dullin-Grunds Haus der Kultur und Bildung

Am 1. Mai 1963 wurde der Grundstein für das Haus der Kultur und Bildung gelegt. Vorangegangen waren zwei Wettbewerbe für den Bau eines Kulturhauses am Marktplatz. Den Wettbewerb 1958 gewann das Kollektiv um den Chefarchitekten Max Fiedler der Abteilung Stadt- und Dorfplanung des Bezirkes. Der Entwurf, der noch wesentliche Züge der Nationalen Tradition aufwies, wurde jedoch nicht umgesetzt. Stattdessen wurde ein neuer Wettbewerb ausgelobt, der diesmal durch Hermann Henselmann dem Chefarchitekten von Berlin betreut wurde. Wesentlich war die Errichtung einer städtebaulichen Dominante.

Den Wettbewerb gewann die damals 26jährige Mitarbeiterin Henselmanns Iris Dullin-Grund, die zusammen mit anderen Absolventen der Klasse von Selman Selmanagic der Kunsthochschule Weißensees im Büro Henselmanns tätig war. Sie selbst sah ihren Entwurf ganz in der Bauhaustradition und als Gegenentwurf zur Nationalen Tradition.

Für 13 Millionen Mark entstand ein in Stahlbetonskelettbauweise errichteter Gebäudekomplex von vier Flügeln, die um einen Innenhof angelegt waren. Das 56 Meter hohe schlanke Hochhaus trägt im Neubrandenburger Volksmund den Namen „Kulturfinger“. Es ist eine 16-geschossige Stahlskelettkonstruktion, die vom Sächsischen Brücken und Stahlhochbau hergestellt wurde und verkleidet ist mit Betonplatten, die mit weißgrauem Marmorbruch belegt sind. Die Felder unter den Fenstern waren mit flaschengrünem Gussglas des Glaswerks in Pirna-Copitz versehen. Mit der Sanierung von 2014 wurde die originale Farbgebung wieder hergestellt.

Das Haus der Kultur Bildung offenbart sich als ein Spiel verschiedener Kontraste zwischen den gelbbraunen Klinkerfassaden, den mit anthrazitfarbenen Schieferplatten belegten Gebäudeteilen und den offenen mit naturfarbenem Aluminium eingefassten großen Glasfassaden. Mit Konzert- und Theatersaal, Ausstellungsfoyer, Bibliothek, Cafés, Restaurants und Räumlichkeiten für die mehr als 50 verschiedenen Handarbeits- und Kunstzirkel wurde das Gebäude ein Ort vielfältiger Angebote und Betätigungen für die Neubrandenburger Bürgerinnen und Bürger und seinem Namen gerecht. Mit einem dreitägigen Fest wurde das Haus der Kultur und Bildung am 17. Juli 1965 eröffnet.

Mit der Sanierung und dem Umbau 2014 hat das Gebäude im Inneren und zum Teil auch am Äußeren gravierende Änderungen erfahren. Das einzige vertikale „Kultur(hoch)haus“ der DDR ist heute seiner einstigen Idee beraubt und der Konzert- und Theatersaal ein Bekleidungsgeschäft.